Healthcare, Interview

Digitalisierung in der Pflege, Andreas Eichelberger im Interview

Ein Zweig des Gesundheitswesens, dem oftmals wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist die ambulante Pflege. Jedoch arbeiten in der Branche bei rund 15.000 Unternehmen circa 440.000 Menschen (Stand 2021). Diese Zahl zeigt, dass dort im Rahmen der Digitalisierung hohe Potenziale schlummern.

Andreas Eichelberger ist Gründer und Geschäftsführer beim Anbieter für ambulante Pflege Cosmea. Dabei legt er mit seiner Vita aus dem Private Equity-Sektor den Fokus auf eine Vereinfachung der Arbeitsabläufe im Sinne der Mitarbeiter:innen.

Im Interview mit Cyforwards-Geschäftsführer Benjamin Wittekind (Zum Linkedin-Profil) gibt der Experte Einblicke in den Einsatz moderner Technologie, der damit verbundenen Effizienzsteigerungen und auch die zu ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen.


Herr Eichelberger, wie können digitale Technologien die Qualität der ambulanten Pflege verbessern?

Ich beziehe mich beim Thema digitale Technologien in der ambulanten Pflege auf die Unterstützung der Mitarbeiter durch Fachsoftware und MDAs (Mobile Daten-Assistenten; also Handhelds/Smartphone basierte Systeme) in ihrer Leistungserbringung beim Kunden.

Die System-Kombination erlaubt diverse Prozess-Verschlankungen, sodass quasi mehr Nettozeit für die direkte Pflege- und begleitenden Pflegetätigkeiten verbleibt. Das führt meist auch zu einer höheren Arbeitsqualität.

Die digitalen Technologien erlauben bspw. eine Zentralisierung der Datenhaltung. Folglich haben Pflegefachkräfte und Pflegedienstleitung jederzeit zu den für sie wichtigen Informationen Zugriff wie Berichteblätter, Vitalwerte, Wunddokumentation usw.

Pflege begleitende Tätigkeiten wie Arbeitszeiterfassung oder Leistungserfassung werden vereinfacht, sodass sich alle Beteiligten auf das Kernthema konzentrieren können, die Versorgung der Klienten. In der Regel reduziert der Einsatz der digitalen „Helfer“ auch Erfassungsfehler, was zu einer verbesserten Abrechnung und weniger Nacharbeit führt.

Es sind weitere Digitalisierungs-Elemente in der Entwicklung; zum Teil schon im Markt. Hierzu gehören bspw. die Bereitstellung von Satzbausteinen als Hilfestellung und Unterstützung im Rahmen der Pflege-Dokumentation. Für den mittlerweile sehr hohen Anteil an fremdsprachigen Mitarbeitern werden auch Übersetzungs-Module angeboten. Natürlich haben diese System-Elemente alle ihre Vor- und Nachteile.

Inwiefern verändern sich Arbeitsalltag und Zufriedenheit der Pflegekräfte?

Das zentrale Werkzeug MDA macht viele Aufgaben einfacher, vorausgesetzt die Handgriffe wurden verinnerlicht. Dazu schulen wir die Mitarbeiter vorab und zeigen ihnen die Vorteile gegenüber dem analogen Weg auf.

Kurzfristige Touren-Änderungen erleichtern sich, weil sie online einfach auf die MDAs überspielt werden können. Vorher war eine telefonische verbale Abstimmung nötig. Dazu müssen die Mitarbeiter aber erreichbar sein; ggf. ihre Arbeit beim Kunden unterbrechen.

Verbale Kommunikation birgt natürlich auch die Gefahr eines Missverständnisses, gerade wenn mehrere Änderungen vorgesehen sind. Die Systeme beinhalten mittlerweile auch eine automatische Navigations-Hilfe, was die Transfer-Zeiten reduzieren kann.

Schließlich sind auch Maßnahmenplanungen zeitnaher und direkt verfügbar.

Wie führen digitale Technologien zu betriebswirtschaftlichen Vorteilen?

Vereinfacht gesagt können der Einsatz der Fachsoftware in Kombination mit MDAs die vorbereitenden und nachbereitenden Arbeitszeiten zur Pflege reduzieren.

So verbleiben Mitarbeiter und Unternehmen mehr Netto-Arbeitszeit für Leistungserbringung beim Kunden. In einzelnen Bereichen könnten auch Verwaltungspersonal-Ressourcen eingespart werden. Es ist bspw. weniger Personaleinsatz für Routine-Verwaltungstätigkeiten für Arbeitszeiterfassung und Leistungsabrechnung notwendig.

Eine Reduktion bedingt jedoch eine arbeitsvertragliche Flexibilität. Und in der Praxis der letzten Jahre hat sich leider gezeigt, dass Verwaltungsaufgaben eher stiegen aufgrund von regulatorischen und bürokratischen Anforderungen.

Es sind weitere Ineffizienzen im System, die recht einfach reduzierbar wären. Die elektronische Datenübermittlungen zwischen Leistungserbringern (unseren Betrieben) und Kostenträgern (die Kranken- und Pflegekassen) würde Druck- und Logistik-Kosten reduzieren. Leider gibt es hier immer noch (zum Teil regionale) Vorbehalte und Widerstand.

Welche konkreten Anwendungen sind hierbei besonders sinnvoll?

Einige habe ich schon eben genannt.

Es gäbe weitere Digitalisierungs-Optionen im Bereich des Verordnungsmanagement. Das Ganze ist am Kommen… leider sehr schleppend. Wir warten auf die eVO (elektronische Verordnung anstatt Papierform und Faxversand) und den eMediPlan (QR-Code basierte Datenübermittlung des Medikamenten-Plans anstatt händischer Übertrag zwischen Arzt und Leistungserbringer).

Welche organisatorischen Anforderungen müssen erfüllt werden?

Ich vermag hierzu nur für unsere Unternehmens-Gruppe zu sprechen. Wir haben für uns befunden, dass ein dediziertes Schulungsteam, das die Mitarbeiter in den Betrieben vor Ort oder auch per Online-Schaltung betreut, einen wesentlichen Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Digitalisierung ist.

Die Betreuung reicht von Implementierung neuer Digitalisierungs-Projekte über tägliche Problembehandlung von Software und System bis hin zur inhaltlichen Prozess-Unterstützung. Neben den organisatorischen Anforderungen ist die inhaltliche und technische Schulung der Mitarbeiter kritisch. Hierzu gehören auch Nachschulungen.

Wir haben es doch oft mit weniger technikaffinen Menschen zu tun, die wir entsprechend mitnehmen müssen.

Welche Herausforderungen können hierbei auftreten?

Digitalisierung bringt unter Umständen eine Veränderung bestehender Prozesse mit sich. Also Change Management. Dazu gehört das Aufzeigen, was sich für die Mitarbeiter sowohl im Vorteil als auch eventuell im Nachteil verändert.

Manchmal muss auch Schritt für Schritt anstatt von 0 auf 100 in der Umsetzung von Projekten vorgegangen werden.

Inwiefern bedarf es dabei der Schulung der Mitarbeiter in der ambulanten Pflege?

Hier muss zwischen Leitungs- und Pflegepersonal unterschieden werden. Für das Leitungspersonal sind neben der technischen Schulung auch prozessuale und inhaltliche Elemente wichtig. Dazu ist eine systemische kognitive Kompetenz sehr hilfreich.

Unternehmerische Prozesse werden durch die Fachsoftware abgebildet und diese sollten integrativ verstanden werden. Das braucht oft viel Schulung und Betreuung bis hier Sattelfestigkeit erreicht ist. Dazu kommen dann die rechtlichen und regulatorischen Details, die zu berücksichtigen sind.

Für die Mitarbeiter in der Pflege und Betreuung sind keine außerordentlichen Kompetenzen notwendig, die nicht heutzutage ohnehin meist vorhanden sind – fast jeder verwendet heutzutage ein Smartphone – oder die durch die berufsspezifische Ausbildung erlangt wurden. Trotzdem muss natürlich der Umgang mit dem jeweiligen System geschult und angelernt werden. Zum Glück sind die Softwarelösungen alle sehr ähnlich aufgebaut. In manchen Fällen ergeben sich durch den Einsatz der MDAs auch Änderungen in typischen Handgriffen und Abläufe, die sich über Jahre eingeschliffen haben.

Hier muss natürlich individuell unterstützt und geschult werden.

Welche rechtlichen Neuregelungen sind notwendig, um die Digitalisierung in der ambulanten Pflege zu ermöglichen?

Vieles hängt von der Akzeptanz seitens des Regulators und der Kostenträger ab. Ich habe ja schon einige Beispiele weiterer Lösungen für Ineffizienzen im System genannt.

Trotz einiger schon bestehender rechtlicher Grundlagen verweigern sich hin und wieder die Kostenträger einer modernen Arbeitswelt; manchmal augenscheinlich aufgrund alteingeschliffener Arbeitsprozesse oder mitunter auch dem Versuch potentieller Veruntreuung oder Betrug im Vorfeld zu begegnen.

Hier wird oft mehr mit der individuellen potentiellen rechtlichen Problematik gedanklich hantiert, anstatt die potentiellen systemischen ökonomischen Vorteile aller direkten Beteiligten (Kunden, Mitarbeiter, Unternehmen, Kostenträger) zu wertschätzen.

Bestimmte digitale Anwendungen scheitern aktuell auch an den hohen Hürden des Datenschutzes oder der Ansicht, dass der durch die digitalen Lösungen verbesserte Datenschutz die eventuellen Risiken nicht aufwiegt.

Herr Eichelberger, ich danke Ihnen herzlich für unser Gespräch.


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Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München. 

Bild: eigenes

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