Public Sector & Government

IT-Planungsrat in externer und interner Sicht, Interview mit Dr. Henning Lühr

Der IT-Planungsrat soll die zentrale Institution für die Digitalisierung der Bundesrepublik werden. Aktuell überlagern bei diesem Prozess verschiedene Krisen die Entwicklung. Dr. Henning Lühr war langjähriges Mitglieder des Rates. Aktuell hat er seine Bewertung unter dem Titel „Der IT-Planungsrat: Funktionswandel der Institution zur Steuerung der digitalen Transformation in den öffentlichen Verwaltungen“ vorgelegt.

Dr. Henning Lühr (Zum Linkedin-Profil)  ist nach Berufsausbildung und Studium über den zweiten Bildungsweg Diplom-Verwaltungswirt und Jurist, hat in verschiedenen Verwaltungen in verschiedenen Ländern und öffentlichen Unternehmen in leitender Position gearbeitet. Von 2003 bis 2020 war er Staatsrat für Finanzen, Personal und Digitalisierung/IT im Land Bremen. Seit 2020 ist er Honorarprofessor für Verwaltungswissenschaften an der Hochschule Bremen und Rechtsanwalt.

Im Gespräch mit Cyforwards-Geschäftsführer Benjamin Wittekind (Zum Linkedin-Profil) gibt er einen Einblick in seine Tätigkeiten im eGovernment und welche Ideen er für den IT-Planungsrat hat.


Herr Dr. Lühr, welche Fragen bewegen Ihre Studierenden im eGovernment?

Studierende haben es im Moment sehr schwer. Sie müssen sich sowohl mit staatlichen Krisen und ihrer neuen Rolle als künftige Nachwuchskräfte in einem Achterbahn fahrenden Verwaltungsmanagement auseinandersetzen. Klassische, gediegene Bürokratie als Leitbild und Praxis gibt es nicht mehr! Das führt zu Verunsicherung und vielen Fragen.

Insoweit ist eine Differenzierung nach der Entwicklung der digitalen Transformation, des staatlichen Handelns in Krisenzeiten und der eigenen persönlichen Rollenfindung in diesen sich verändernden Systemen erforderlich. Studierende wollen fachlich genau wissen, wie sich staatliches Handeln verändert, was die Rahmenbedingungen der Veränderung sind und wie die Krisenbewältigung funktioniert. Die Antworten prägen dann aber auch die persönliche Rollenfindung: Es wird oft gefragt, ob das die richtige Berufsentscheidung war, ob der Staat der sichere Arbeitgeber sein wird.

Wo befinden sich dagegen aus Ihrer Erfahrung aktuell die größten Herausforderungen?

Die größten Herausforderungen sind die Krisenbewältigung als vordringliche Aufgabe des Staates und der Verwaltung, die ins Stocken geratene Digitale Transformation, Finanzierungsengpässe für Zukunftsaufgaben und der eklatante Fachkräftemangel auf Grund des demografischen Wandels. Dazu kommt die alltägliche Arbeit in den Behörden mit steigenden Fallzahlen, schwierigeren Klient:innen und komplizierten Verfahrensabläufen.

Inwieweit hat sich dabei die Rolle des IT-Planungsrates des Bundes und der Länder während Ihrer Innensicht geändert?

Der IT-Planungsrat ist in das föderative Gesamtsystem nach einigen vorausgehenden „administrativen Fehlversuchen“ als eigentlich „artfremde“ Institution der klassischen Bund-Länder-Koordinierung von politisch-administrativen Entscheidungsprozessen der digitalen Transformation öffentlicher Verwaltungen mit einer ursprünglich als gering intendierten Wirkungskraft integriert worden. Seine rechtliche Grundlage findet er in dem auf Art. 91c Abs. 1 und 2 GG gestützten IT-Staatsvertrag.

Politische, gesellschaftliche und ökonomische Anforderungen an den Staat bei der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltungen haben sich in den letzten Jahren explosionsartig entwickelt. Damit haben sich auch die Funktion, die Aufgaben und der Rahmen des Handelns des IT-Planungsrats im Gesamtgefüge staatlicher Entscheidungen verändert.

Es kommt hinzu, dass im „politischen Kompromiss“ bei der Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleiches die Finanzierung und Aufgabenwahrnehmung für die Digitalisierung neu justiert worden ist: Von der Zuständigkeit für die Netzsteuerung und Standardisierung führte der Weg über die administrative Koordinierungsfunktion nach der Einfügung des Abs. 5 in Art. 91c GG zur politisch-administrativen Steuerung der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland.

Ein komplexer Entwicklungsprozess.

Und was sehen Sie heute aus der Distanz als externer Analytiker?

Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Einfügung des neuen Absatzes in Art. 91c GG alleine in der Lage ist, die Komplexität der Entwicklung abzubilden, zumal sich die Aufgaben erheblich erweitert und die Rahmenbedingungen verändert  haben.

Nach den Ergebnissen meiner Analysen des Handelns der Akteur:innen und Akteur:innenkonstellationen im Politikfeld eGovernement haben etwa die öffentlichen IT-Dienstleister derzeit keine funktionelle Einordnung in das Gesamtsystem, ihr Potential wird nicht genutzt. Die Kooperationen mit der Wirtschaft und Wissenschaft sind unzureichend. Die sich veränderten Arbeitsbeziehungen und die Strukturen der Interessenvertretung werden bislang nur unzureichend in den Prozess der digitalen Transformation einbezogen.

Die im Rahmen der organisatorischen Ausgestaltung der Gemeinschaftsaufgabe in Abschnitt VIIIa GG vorgenommene Institutionalisierung des IT-Planungsrates erfüllen im Moment noch nicht die gestellten Anforderungen eines mehrebenenübergreifenden IT-Managements im Föderalismus des Grundgesetzes. Wir benötigen eine funktionsfähige „Marble-Cake-Institution“[1] und keine Fahrstuhlsystem im föderalen Mehrebenensystem.

Wie kann Deutschland sein eGovernment erfolgreich(er) machen?

Aus den Ergebnisses der Analyse würde ich die Forderung ableiten, den IT-Planungsrat zu einer „entscheidungsbefugten politische Drehscheibe“ im föderalen System mit entsprechenden digitalpolitischen Entwicklungsfeldern und Veränderungsansätzen auszubauen. Dabei geht es um die Ziele der digitalen Transformation, die Managementeffizienz im Entscheidungsprozess selbst und den Prozess der Umsetzung in den Verwaltungen.

Hierzu werden folgende Vorschläge erforderlich, die Entwicklungen aufgreifen, z. B.:

  1. Die Rolle des IT-Planungsrats in der „Digital Governance“ des Mehrebenensystem von Bund, Ländern und Kommunen neu aufzustellen,
  2. Wissenschaft und Wirtschaft unmittelbarer einzubeziehen,
  3. die Kooperation mit der privaten IT-Wirtschaft im Rahmen einer strategischen Partnerschaft auszubauen,
  4. für die Möglichkeit einer möglichst frühzeitigen Einbindung der Sozialpartner in IT-, die die Gestaltung der Arbeit selbst („new work“) und der Arbeitsbeziehungen („new employment law and online rights for online worker“) betreffen, zu sorgen und schließlich
  5. daraus ein integriertes föderales Gesamtkonzept dahingehend zu entwickeln, wie Institutionen mit ihren Aufgabenstellungen und Zuständigkeiten in einem formalisierten, regelbasierten Entscheidungsverfahren kommunizieren und kooperieren können.

Mit Blick auf Bremen und Ihre unterschiedlichen Senatoren: Inwieweit hat sich der Fokus der Politik auf Fragen der Digitalisierung über die Jahre geändert?

Der Fokus ist in den letzten Jahren verstärkt auf Digitalisierung ausgerichtet, einhergehend mit einem ausgeprägten Gestaltungswillen. Allerdings auch verbunden mit der Erkenntnis, dass dies ein sehr zäher Prozess ist. Den Amtsschimmel auf die Datenautobahn zu bekommen ist harte Alltagsarbeit.

Ein entscheidender Engpass ist zudem die fehlende zentrale Finanzierung durch den Bund.

Was ist im Land Bremen bereits gut und was ist zu verbessern im Verhältnis zum Bund und den anderen Ländern?

Bremen macht zurzeit 5 der 15 der vom IT-Planungsrat auf den Weg gebrachten bundesweiten Fokusprojekte. Das ist eine große fachliche Auszeichnung für den kleinen Zweistädtestaat, bindet allerdings viel Gestaltungskraft, die dann zum Teil in der eigenen praktischen Umsetzung der Digitalisierung zu Engpässen führen kann.

Herr Dr. Lühr, ich danke Ihnen herzlich für unser Gespräch.

[1] Die Begriffsbestimmung stammt aus der amerikanischen Politikwissenschaft in Anlehnung an den klassischen Marmorkuchen, der im Vergleich zum Schichtkuchen eine Durchmischung der verschiedenen Zutaten aufweist.

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Bild: eigenes

Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München. 

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