Interview, Public Sector & Government

Treiber der Inneren Sicherheit, Interview mit Stephan Ursuleac

Stephan Ursuleac (Zum Linkedin-Profil) ist Politikwissenschaftler und Wirtschaftspsychologe. Beim Bitkom e.V. arbeitet der ehemalige Artillerieoffizier heute als Bereichsleiter Verteidigung & Öffentliche Sicherheit.

Aus dieser Perspektive gibt er Sebastian Menzel (Zum Linkedin-Profil) in zwei Teilen einen Einblick in den aktuellen Stand der Digitalisierung im öffentlichen Sektor mit Fokus auf die Polizeiarbeit.

Im ersten Teil geht es um die Rolle von interdisziplinären Ansätzen und die Chancen von Verbund- und Einzellösungen in der Digitalisierung und der Inneren Sicherheit.


Herr Ursuleac, welche Bedeutung hat ein interdisziplinärer Ansatz für die IT-Branche?

Wir stehen erst am Anfang der digitalen Transformation, die alle Lebens- und Geschäftsbereiche tangiert. Dabei geht es um mehr als nur Technologie. Vielmehr müssen wir die Menschen mitnehmen und ins Zentrum der Überlegungen stellen.

Dies gilt sowohl für Usability-Ansätze als auch für die Akzeptanz von Neuerungen. Das hat viel mit dem Schlagwort „Mindset“ zu tun. Dabei muss klar herausgestellt werden, dass die digitale Transformation nicht einfach ein „Nice to have“ ist oder eine Art Trend, der irgendwann verschwindet.

Der Wandel vollzieht sich immer schneller und in einigen Fällen hat er auch disruptive Auswirkungen. Insbesondere im wirtschaftspsychologischen Umfeld geht es dabei um Einstellungen, Auswirkungen auf das Selbst oder kognitive Prozesse, die es zu adressieren gilt.

Was bedeutet das konkret für Ihre Arbeit beim Bitkom?

IT muss grundsätzlich verstanden und deren Akzeptanz vermittelt werden, um sie weiterzuentwickeln. Für Deutschland hängt der Erhalt des Wohlstandes maßgeblich davon ab, dass wir diese Innovationen treiben und mitentwickeln können.

Ich sehe mich daher als Vermittler zwischen den beiden Welten; den technischen Expertinnen und Experten und den Anwenderinnen und Anwendern einerseits und den Führungskräften in Politik und Wirtschaft andererseits. Letztere müssen nun die richtigen Entscheidungen treffen, um die digitale Transformation aktiv zu gestalten.

Wo steht Deutschland aktuell in der Digitalisierung?

Hier stehen wir leider noch am Anfang, da das Ausmaß und die Folgen der Transformation erst langsam verstanden werden. Nehmen Sie z. B. eine zentrale Forderung nahezu jeder deutschen Verwaltungs- und Regierungsbehörde, erst kürzlich auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie. Es gibt Lücken, z. B. im Bereich der Verfolgung von Geldwäsche und es wird automatisch auf die Lösungsformel der vergangenen Jahrzehnte, „Wir brauchen mehr Personal“, zurückgegriffen.

Dass dieses Personal durch den demografischen Wandel nicht mehr vorhanden ist, bzw. sein wird, blenden die Entscheidenden aus. Eine Lösung, wie die Automation von Prozessen und von Abläufen unter Nutzung neuester Technologien wird oft nicht in Betracht gezogen. Dies liegt zum einen an mangelndem Wissen über diese Technologien und zum anderen an einer mangelnden Bereitschaft sich anzupassen und lebenslang lernen zu wollen. Hier muss angesetzt und übersetzt werden.

Welche Relevanz messen Sie tagesaktuellen Entwicklungen für die langfristige Ausrichtung der Inneren Sicherheit bei?

Die Schlagworte unserer heutigen Zeit sind Flexibilität und Agilität, da externe Schocks vermehrt und in immer kürzeren Abständen auftreten. Nehmen wir als Beispiele aus den letzten Jahren die Flüchtlings-, Corona- und Ukrainekrise. In allen Fällen sahen die Politik und die Verwaltung nicht souverän aus. In vielen Fällen erzeugt(e) dies ein Ohnmachtsgefühl in der Bevölkerung – radikale Strömungen finden seit Jahren mehr Gehör.

Das Gefühl, dass „die da oben“ nichts mehr geregelt bekommen, trifft auf das Selbstverständnis der politischen Elite, die in der eigenen Wahrnehmung alles Mögliche getan habe und auf die erzielten Erfolge im Bearbeitungsprozess verweist. Das politische Geschäftsmodell, aus Hinzuziehung von Sachverstand und der Findung einer Lösung im Konsens, erodiert zunehmend. Das liegt daran, dass etablierte, über Jahrzehnte bewährte Prozesse, nicht mehr zeitgerecht funktionieren.

Gleichzeitig steigt die Erwartungshaltung gegenüber den politischen Akteuren. Dies führt gerade bei kleinen und regionalen Akteuren zu dem Ruf nach einer zentralen Lösung, die die Bundesebene bereitwillig aufgreift, um antizipierten Kontrollverlusten entgegenzutreten. Größere Bundesländer hingegen verwehren sich dem zentralistischen Ansatz und verweisen auf ihre Eigenständigkeit, gerade im Polizeibereich. Für eine Verbundlösung von Systemen sprechen viele Faktoren: So könnten Budget- und Personalressourcen effizienter eingesetzt und durch Kollaborationen gemeinsame Standards festgelegt werden. Standardisierung führt zu einheitlicher Information.

Welche Rolle kann die Privatwirtschaft dabei spielen?

Verstärkt können innovative Lösungen von Kleinen und Mittelständischen Unternehmen (KMU) genutzt werden. Dazu zählen u. a. klar definierte Datenstandards, einheitliche Register/Datenbanken und das Bereitstellen von interoperablen Services.

Dann könnte „Einer für Alle“ funktionieren und die Vorteile aus beiden Welten (Verbund- und Einzellösungen) kombiniert werden: schnell einzeln, mit hoher Innovationskraft entwickeln und anschließend auf alle Mitglieder ausrollen, um Effizienz und Synergien zu heben.

Einheitliche Richtlinien könnten erarbeitet werden. Diese sollten klären, wann Einzel- oder Verbundlösungen ratsam sind. Dabei stehen die Fragen im Raum, wie schnell die Zielerreichung gewünscht ist, wie viele Kompetenzen oder Budget verfügbar sind und ob es sinnvoll ist, bestehende Prozesse und Systeme anzupassen. Es müssen zudem finanzielle und politische Anreize für die Teilnahme an Verbundlösungen geschaffen werden. Zusammen mit der Bündelung von Kompetenzen bieten sich Vorteile für alle Seiten.

Dies sollte gemeinsam in einer Projektgruppe, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Verwaltung, Politik und Wirtschaft, angegangen werden. Voraussetzung ist, eine ausgeprägten Teamkultur und die Bereitschaft, eigene Prozesse und Strukturen anzupassen.

Wo sehen Sie größten Hindernisse der Digitalisierung?

Allerdings besteht die Gefahr, ineffektive Strukturen durch mangelnde Mittel zu zementieren. Dies kann die nötige Handlungsfähigkeit einschränken. Nehmen wir dazu gern ein konkretes Beispiel: Programm P20.

Seitens des Bundes wird dieses als Erfolg verkauft, erntet jedoch in einzelnen Bundesländern und Teilen der Wirtschaft nur Spott. Kritisiert wird, dass schneller brauchbare Lösungen für die Polizei verfügbar wären bzw. aufwendig Lösungen zentral entwickelt werden, die der Markt bereits nach geringen Adaptionen selbst anbieten könnte.



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Bild: eigenes