Interview, Public Sector & Government, Transportation & Mobility

Anwendungen Künstlicher Intelligenz in der Luftfahrt, Michael Händel im Interview

Wo könnte Künstliche Intelligenz besser nutzbar gemacht werden als in einer Branche, in der Schnelligkeit, Sicherheit und die Komplexität der Infrastruktur zusammenfallen?

Michael Händel (Zum Linkedin-Profil) kennt die Luftfahrtbranche von der Pieke auf. Nach seiner Ausbildung zum Luftverkehrskaufmann und dem BLW-Studium war er seit 2002 im Lufthansa-Konzern in verschiedenen Positionen tätig, seit 2011 in Führungsverantwortung. Heute ist Michael Händel „Vice President Network Planning and Airport Relations“ im Lufthansa-Konzern.

Mit Benjamin Wittekind (Zum Linkedin-Profil) spricht er im Interview über den aktuellen Status der Luftfahrtbranche hinsichtlich der Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz.


Herr Händel, wo stehen wir allgemein im Bereich KI im Luftverkehr?

Ich glaube, wie in anderen etablierten Industrien auch, stehen wir im Luftverkehr erst am Anfang einer intensiven Veränderungsphase. Sicherlich haben die meisten Manager das große Potential KI-basierter Anwendungen mittlerweile erkannt oder haben zumindest eine vage Vorstellung davon.

Aber wie kann ich als Führungskraft in meinem Einfluss-Bereich einen guten Einstieg in diese Entwicklung finden? Das ist in etablierten und stärker regulierten Strukturen wie dem Luftverkehr sicherlich herausfordernder als in einem Business, das gerade neu entsteht. 

Welche konkreten Chancen bietet KI in Ihrem Bereich?

In meinem Bereich entsteht der Flugplan der Eurowings. Für jedes der gut 110 Flugzeuge muss entschieden werden, um wieviel Uhr es wo hinfliegt. Das sind im Jahr knapp 200.000 Entscheidungen, denn so viele Flüge führen wir ungefähr durch.

Wir müssen dabei eine Vielzahl von Einflussfaktoren berücksichtigen. Zum Beispiel Start- und Landerechte an Flughäfen (sog. Slots), Betriebslimits von Flughäfen und Besatzungen, Wartungserfordernisse der Flugzeuge und natürlich die Wünsche unserer Kunden.  

Bislang gibt es zwar Tools, die uns in dieser Arbeit unterstützen. Ganz wesentlich bauen wir in unserer Arbeit aber auf die Erfahrung und das Wissen unserer Mitarbeitenden. Sie wissen, zu welchen Zeiten ein Flug gut nachgefragt wird. Sie wissen, ob wir für einen neuen Flug einen Slot bekommen können. Und sie wissen auch, wann sie vielleicht den letzten Flug am Tag nicht mehr in den Plan „hineinquetschen“ sollten, um das System nicht zu überlasten.

Welche Rolle spielt dabei das Lernen der KI?

Eine lernende KI, die all dieses Wissen aufbauen kann und daneben aber auch Kombinationen und Lösungsmöglichkeiten erkennt, die ein Mensch aufgrund der Komplexität auch nach Jahrzehnten Berufserfahrung nicht sehen kann, wäre hier ein Quantensprung.

Daneben gibt es natürlich eine Menge Potential in der Kommunikation mit unseren Kunden. Sicher kennen das viele aus eigener Erfahrung: einige Anliegen lassen sich nicht über Webseiten oder Apps lösen und ein Gespräch im Call Center ist nötig.

Dort müssen wir dann leider oft länger warten als uns lieb ist. Gerade in Zeiten, in denen viele Anrufe zu erwarten sind, kann mit KI sicher eine deutliche Beschleunigung in der Bearbeitung und damit weniger Wartezeit erreicht werden. Sei es, weil der Call Center Agent zielgerichtete Hinweise für sein Gespräch bekommt oder sei es, weil die KI dem Kunden auf dem Sprachweg direkt hilft.  

Und schließlich freue ich mich aber auch sehr auf die Produktivitäts-Fortschritte, die sich aus KI im Office-Alltag hoffentlich bald ergeben: Zusammenfassung endlos langer Emails, Vorschläge zur Visualisierung von Text in Präsentationen, zielgruppengerechte Kommunikationsvorschläge und und und…

Welche konkreten Anwendungen sind hierbei besonders sinnvoll?

Konkret haben wir in meinem Bereich zum Beispiel seit kurzem ein neues Optimierungstool für unseren Flugplan im Einsatz. Es verwendet KI, indem es die oben beschriebenen Erfahrungswerte der Mitarbeitenden lernt.

Selbst mit heutigen Rechenleistungen wäre es noch nicht in sinnvollen Laufzeiten möglich, alle denkbaren Kombinationen in unserem Flugplan durchzurechnen, um das beste Optimierungsergebnis zu erzielen. Eine Art Vorauswahl muss getroffen werden, um den Lösungsraum einzugrenzen und akzeptable Laufzeiten zu erzielen.

Diese Vorauswahl geschieht, indem die KI die Präferenzen der Planer:innen beobachtet und lernt, welche Lösungen wahrscheinlicher sind: Wo möchte ich gewonnene Kapazitäten am liebsten einsetzen? Nutze ich eine gewonnene Viertelstunde eher am Abend oder eher am Morgen etc.

Die ersten Ergebnisse des Tools sind sehr vielversprechend und wir machen bereits große Fortschritte damit.

Worauf kommt es bei der Einführung an – welche Vorarbeiten sind zu leisten?

Um verwertbare Ergebnisse aus der Zusammenarbeit zwischen menschlicher und maschineller „Expertise“ zu bekommen, muss natürlich Zeit und Arbeit in das Training der künstlichen Intelligenz investiert werden. Das haben wir im oben genannten Beispiel nicht selbst gemacht, sondern das geschah auf Seiten des Anbieters.

Nichtsdestotrotz liegen hinter diesem Prozess eine Vielzahl an Iterationsschleifen zwischen Software-Anbieter und uns, in denen erklärt, getestet, verbessert und angepasst werden muss. Vorher musste noch viel Zeit in die Aufnahme von Stammdaten und Regeln investiert werden.

Kurz gesagt: Erst mal verursacht das alles mehr Arbeit statt weniger. In dieses Projekt haben zwei meiner Flugplaner sicherlich mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit für mehrere Monate investiert.

Wichtig ist dabei, dass den Mitarbeitenden klar ist, dass hier keine Effizienzmaschine herangezüchtet wird, die eines Tages ihren Job wegnimmt. Sondern dass ihnen hier ein Tool an die Seite gestellt wird, das gemeinsam mit ihnen bessere Arbeitsergebnisse abliefert als je zuvor. Entsprechend kommt es auch darauf an, wie Führungskräfte den Einstieg in diese Technologien einordnen und erklären.

Welche neuen Anforderungen werden dabei an die Mitarbeiter:innen gestellt?

Die Mitarbeitenden nehmen sukzessiv eine neue Rolle ein. Sie sind nach wie vor der „Wissensträger“ zu ihrem Fachgebiet. Aber ihre Arbeitserfolge stellen sich immer weniger dadurch ein, dass sie für ein kniffliges Problem aufgrund ihrer guten Erfahrung oder Übersicht die richtige Lösung gefunden haben. Sie werden vielmehr Coach und Entwickler von Systemen, die das besser können als sie selbst.

Insgesamt wird das Anforderungsprofil dadurch vermutlich etwas „konzeptioneller“ als bislang. Aber, so zumindest sind die ersten Rückmeldungen meiner Mitarbeitenden, auch „sinnstiftender“. Denn die inhaltlich interessanten Fragestellungen ihres Jobs durchdenken sie nach wie vor, sehen die Lösung und können sich daran erfreuen, wenn sie gut ist. Sie müssen dafür aber nicht mehr so viel repetitive Arbeit selbst machen.   

Herr Händel, ich danke Ihnen herzlich für unser Gespräch.


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Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München. 

Bild: eigenes

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