Transportation & Mobility

Logistik – Herausforderungen des drittgrößten deutschen Wirtschaftsbereiches

Die Logistik zählt zu den digitalen Vorreitern im Branchenvergleich der deutschen Wirtschaft. In kaum einer anderen Industrie sind digitale Technologien und datengetriebene Geschäftsmodelle derart etabliert.

Dr. Martin Schwemmer, seit Februar 2022 Managing Director der Bundesvereinigung Logistik (BVL), zählt zu den wichtigsten Stimmen der Branche. Er beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit den Trends und Herausforderungen des Wirtschaftszweiges, u. a. im Rahmen seiner Promotion zu Logistik-Start-Ups am Fraunhofer IIS in Nürnberg.

Im ersten Teil des Interviews spricht er mit Cyforwards über seine Ziele und Aufgaben in der BVL, seine Zukunftsvisionen für den Verband und den aktuellen Status der Logistik aus Sicht der Unternehmen.


Herr Dr. Schwemmer, woher kommt Ihre Leidenschaft für Innovation in der Logistik?

In meiner Vorstellung ist ein Unternehmen, das gezielt Innovationen hervorbringen kann, auch in der Lage, für jedes Problem eine Lösung zu entwickeln. Darum will ich unbedingt verstehen, wie Innovationen genau entstehen und warum manche in der Logistik erfolgreich sind, andere aber nicht. Was muss man also tun, um Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu entwickeln? Wo ist der größte Hebel?

Seit wann beschäftigen Sie sich damit?

Ich beschäftige mich seit etwa 2010 intensiv mit der Logistik und den relevanten Trends im Bereich. Dabei ging es für mich immer besonders um Logistikdienstleister, die in einem besonderen Spannungsfeld gefangen sind: geringe Margen, hohe Insolvenzquoten und gleichzeitig ein hoher Druck durch die Kunden, immer schneller, besser und digitaler zu agieren.

Digitalisieren, Netzwerksynergien heben, Effizienzgewinne heben, allen Trends gerecht werden, und das auch noch alles gleichzeitig – das ist nicht einfach.

Was sind Ihre Schwerpunkte?

Es geht einerseits um exemplarische Innovationen in allen Bereichen der Logistik. Etwa Automatisierung, Robotik, Einsatz von fortschrittlichen analytischen Verfahren, Prozessdigitalisierung, Effizienzsteigerung, Nachhaltigkeit, Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc.

Da fallen jedem sicher noch ein paar weitere Bereiche ein. Andererseits geht es um das richtige Mindset in dem Sinne: „Es gibt ein Problem? Her damit, wir finden eine Lösung dafür.“

Derzeit nehme ich eher wahr: „Oh je, ein Problem. Kommt eine Lösung gegebenenfalls von woanders? Müssen wir selbst aktiv werden? Vielleicht geht es an uns vorbei…“

Also: Innovations-Bau-Geschick ist ein wesentlicher Hebel, drängende Problemstellungen anzugehen. So zumindest meine etwas rosarot gefärbte Vision der Logistik der Zukunft.

Wie fällt Ihr Zwischenfazit aus, die Logistik als Wirtschaftsbereich stärker zu vernetzen?

Sehr konkret können wir Stärken der BVL zurzeit einbringen in unser Projekt zum digitalen Lieferschein, den wir Ende Oktober gemeinsam mit der GS1 an den Start gebracht haben. Die Herausforderung bei dem Projekt ist nicht die Technologie. Es muss sich ein Netzwerk an registrierten Nutzern aus allen Teilen der Lieferkette bilden: Hersteller wie Nestle, Transporteure wie DSV und Empfänger wie dm Drogeriemarkt.

Wenn einer dieser drei Akteure das nicht mitspielt, ist dieser Schritt zur unternehmensübergreifenden Digitalisierung unmöglich. Innovativ ist hier also nicht nur die Technologie, sondern auch die Bereitschaft zur unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit.

Wo liegen dort die Potentiale?

Ein guter Hebel, um den Austausch in der Logistik zu fördern ist es, mehr Start-ups der Logistik für das Netzwerk der BVL zu begeistern. Daran arbeite ich sehr konkret. Jüngst haben wir eine Reihe von Start-ups aus einem Mentoringprogramm in einem digitalen Pitch-Format präsentiert, nämlich Ridergy, Ponera, Relog3p und myneral labs. Das Publikum konnte für den besten Pitch voten.

Die beiden Unternehmen mit den meisten Stimmen wurden mit der Möglichkeit belohnt, sich in der Ausstellung des Deutschen Logistik-Kongresses zu präsentieren. Unser Partner für dieses Format war ein etablierter Player der Logistikwelt. Genau dieser Gedanke des direkten Supports für neue Ideen durch einen etablierten Player gefällt mir richtig gut. In diese Richtung will ich noch weitermachen.

Was wird Ihr Highlight 2023?

Mein Gesellenstück bei der BVL wird unser LogTech Festival Ende Juni kommenden Jahres in Hamburg. Dort wollen wir die Innovations-Community der Logistik zusammenbringen und sind grade dabei, diese Community auf- und auszubauen.

Beim LogTech Festival sollen sich genau die Menschen vernetzen, die sich intensiv mit dem Thema Innovation in der Logistik befassen. Wir wollen mit all diesen Menschen die Köpfe zusammenstecken, in möglichst gelöster Atmosphäre und durchaus mit Ambitionen in Richtung „fluffig“.

Was meine ich damit?

Vor allem Gehirnöffnerimpulse und Formate abseits der Frontalbespaßung, Austausch auf Augenhöhe. Das ist das Schöne an dem Format LogTech Festival: Es findet in dieser Form zum ersten Mal statt. Da gibt es keinen, der schon mal da war und enger im Netzwerk ist als andere. Wir gründen alle gemeinsam die LogTech Community.

Wie ist die Stimmung bei Ihren Mitgliedsunternehmen im Management von Warenströmen?

Die volatilen Entwicklungen auf der weltpolitischen Ebene drücken auf die Stimmung. Die Notwendigkeit, nachhaltig zu handeln und dies zukünftig auch nachzuweisen, erfordert neue Methoden, andere Prozesse, mehr Transparenz, mehr und andere Arten der Kooperation.

Unsere Mitgliederstruktur ist sehr vielschichtig, vertreten sind Industrie, Handel, Logistikdienstleistung, IT, Beratung, Wissenschaft und Studenten, aber auch Politik. Entsprechend unterschiedlich wirken Trends und Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen.

In einem Wort kann man aber sagen, dass die Lage angespannt ist, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.

Es stellen sich grundlegende Fragen: Ist nun der Zeitpunkt abzuwarten, oder voranzugehen? Der Zeitpunkt zu sparen, oder zu investieren? Das sind sehr generische Fragstellungen, an denen sich aber die Geister schon scheiden. Nicht zuletzt geht es oft darum, wozu ein Unternehmen überhaupt in der Lage ist. Die besondere Situation der Logistikdienstleister, in ihrer großen Mehrheit kleine und mittlere Unternehmen, habe ich ja eingangs schon geschildert.

Welche Themen bewegen die Menschen in der Logistik zurzeit am meisten?

Insgesamt bewegen uns in der Logistik die weltpolitischen Entwicklungen, die andauernde Corona-Pandemie mit ihren Auswirkungen auf globale Versorgungsketten, der Klimawandel, der Krieg in der Ukraine und die damit in Zusammenhang stehende Energiekrise und Inflationsentwicklung.

Daneben hat der Fachkräftemangel sich deutlich verschärft und befeuert den Druck zur Automatisierung und laufenden Optimierung. Nachhaltigkeit wird aus dem Strategischen heraus immer mehr zum operativen Trend und Themen wie ESG und Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKsG) müssen adressiert, verstanden und umgesetzt werden.

Dazu kommt das Thema Cybersicherheit. Selten war es so spannend wie heute, in Logistik und Supply Chain-Management tätig zu sein.

Hier geht es zum 2. Teil des Interviews.


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Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München. 

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