Transportation & Mobility

Logistik – Digitalisierung und Künstliche Intelligenz

Die Logistik bietet durch den hohen Vernetzungsgrad unterschiedlicher Akteure hohe Potentiale für die Digitalisierung. Dr. Martin Schwemmer hat sich in der Forschung mit dem Themenfeld beschäftigt. Heute als Managing Director der Bundesvereinigung Logistik (BVL) greift er gestaltend ein.

Der Experte spricht im Interview in zwei Teilen mit Cyforwards über die aktuellen Herausforderungen und Zukunftsaussichten der drittgrößten deutschen Wirtschaftsbereichs.

Im ersten Teil ging es um die Herausforderungen und Erwartungen der Branche (zum ersten Teil), im heutigen zweiten Teil um Fragen der Digitalisierung und eine „Neue Logistik“.


Herr Dr. Schwemmer, wie digital ist die Logistik heute vernetzt?

Was ich beobachte und was auch aktuelle Studien belegen ist, dass die Logistik in Sachen Digitalisierung vorangeht und schon viel geschafft hat – es gibt aber durchaus noch Potenzial. Der aktuelle Digitalisierungsindex Mittelstand der Telekom beispielsweise zeigt, dass die Digitalisierungsquote bei deutschen Logistikdienstleistern überdurchschnittlich hoch ist: Der Indexwert liegt mit 65 von 100 Punkten über dem branchenübergreifenden Durchschnitt von 59 Punkten.

Eine Studie 2022 zur digitalen Transformation vom Digitalverband BITKOM betrachtet den Status in der Industrie, wo ja ebenso logistische Leistungen stattfinden. In der Wertschöpfungsstufe „Fertigung und Logistik“ setzen vier von fünf der befragten Unternehmen auf Investitionen in Technologien und deren Einsatz als Maßnahme zur Umsetzung der digitalen Transformation, dicht gefolgt von digitalen Standards bei unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen.

Welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz?

In einer Befragung unter Logistikdienstleistern in Deutschland hat der BITKOM herausgefunden, dass bereits jedes fünfte dieser Unternehmen künstliche Intelligenz einsetzt, also 22 Prozent. Weitere 26 Prozent planen dies oder diskutieren darüber. Beim Thema KI ist die Logistik der Gesamtwirtschaft deutlich voraus, branchenübergreifend nutzen nur neun Prozent der Unternehmen KI.

Die Unternehmen beschäftigen sich außerdem mit einem breiten Spektrum weiterer Technologien: In mehr als der Hälfte sind Cloud Computing, Internet-of-Things-Anwendungen und Sensortechnologie sowie Warehouse Management Systeme im Einsatz. Big Data und Analytics werden von 41 Prozent der Unternehmen genutzt.   

Damit wird der Wirtschaftsbereich Logistik tatsächlich zum digitalen Vorreiter – ebenfalls ein Ergebnis der BITKOM-Befragung.

Wo besteht noch Handlungsbedarf?

Ich sehe den größten Handlungsbedarf nicht bei der Technik, sondern ganz klar bei der Bereitschaft, unternehmensübergreifend zusammenzuarbeiten. Wenn man sich selbst digitalisiert, hat man noch nicht so viel geschafft. Das Umfeld muss mitziehen.  

Wie sieht die „Neue Logistik“, zu der Sie am Fraunhofer IIS promoviert haben, aus?

Als Neue Logistik bezeichne ich datengetriebene Logistik-Geschäftsmodelle. Vielleicht haben Sie den Spruch schon einmal gehört, dass man die Logistik nicht ganz digitalisieren kann, da ja immer noch etwas physisch transportiert werden muss. Das ist fast ganz richtig.

Wir beobachten aber, dass Sendungsströme kleinteiliger werden und viel mehr Pakete durch die Volkswirtschaft „fließen“; zu jedem Paket möchte ich dabei mehr wissen zu Sendungsverlauf, Lieferstatus, geplanter Ankunftszeit.

Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?

Ich möchte volle Transparenz. Diese Transparenz ist mit Datenströmen verbunden, die jedes Paket begleiten.

Versteht man eine Sendung also als einen physischen Güterstrom, der begleitet wird durch einen digitalen Informationsfluss, dann stellt man auch fest, dass der Informationsfluss stetig zunimmt. Es entstehen viel mehr sendungsbegleitende Daten als früher noch.

Und diese Daten müssen ebenso transportiert, aufbereitet und gehandhabt werden wie die Sendung selbst. Daraus können Geschäftsmodelle entstehen.

Können Sie uns ein Beispiel in der Logistik nennen?

Vor zehn Jahren hätte noch niemand geglaubt, dass man nur mit der Angabe einer ETA (estimated time of arrival) ein Geschäftsmodell aufbauen kann. Heutzutage, in Zeiten unterbrochener und volatiler Warenströme, kann die Kenntnis einer verlässlichen ETA den Unterschied machen.

Und das ist nur ein Beispiel für ein Geschäftsmodell, das möglich wird, wenn man die Daten, die in der Logistik entstehen, verstanden hat und zu nutzen weiß. Energieeffizienz, Lieferantenauswahl, Nachhaltigkeit – all dies sind Felder, in denen wir datengetrieben und technikgestützt entscheiden und optimieren, die also entsprechendes Potenzial bieten.

Wann werden wir diese Ansätze in der Praxis sehen?

Viele solcher Ansätze sehen wir schon, befördert auch durch die herausfordernde Zeit, in der wir gerade agieren und die unseren Versorgungsketten maximale Transparenz und Resilienz abverlangt. Exemplarisch ist die Welt der Logistik-Start-ups vielleicht vergleichbar mit einem Mosaik der Zukunft der Logistik.

Klar, einige Start-ups gehen ein, andere werden verkauft, wieder andere setzen sich durch und werden zu festen Bestandteilen der Logistikwelt. Man stellt immer gerne die Größten raus, wie etwa Sennder oder Forto, digitale Plattformen, die bereits zu etablierten Playern werden.

Bis vor einigen Jahren noch hat man nicht so viel über Start-ups geredet, aber datengetriebene Geschäftsmodelle sind auch vor über 20 Jahren schon entstanden. Beispiele sind Timocom oder Transporeon als Transportplattformen. Aber nicht nur Start-ups machen hier Fortschritte. Ganz viel passiert auch hinter den Türen von etablierten Unternehmen.

Die Innovationen von Start-ups sind aber in der Recherche viel leichter sichtbar und greifbar als Initiativen von Etablierten. Drum fokussiert die Diskussion um neue Geschäftsmodelle häufig auf Start-ups. Die sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Auf dem LogTech Festival werden wir versuchen, auch ein bisschen unter die Wasseroberfläche zu tauchen, um die Innovationskraft der Logistik ganzheitlich zu verstehen und zu beleuchten.

Dr. Schwemmer, ich danke Ihnen herzlich für unser Gespräch.


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Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München. 

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