Healthcare

Gibt es Vorbilder für die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens?

Immer deutlicher wird, dass die gehemmte Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland eine Vielzahl von Ursachen hat. Die Frage lautet, ob es in anderen Ländern besser läuft.

David Matusiewicz (zum Linkedin-Profil) ist Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule – einer der größten Hochschulen Europas. Seit 2015 verantwortet er als Dekan den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales und leitet als Direktor das Forschungsinstitut für Gesundheit & Soziales (ifgs).

Im Interview mit Cyforwards spricht David Matusiewicz über seine Erfahrungen im internationalen Gesundheitssektor und was Deutschland davon lernen kann.


Herr Professor Matusiewicz, warum geht die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen so langsam voran?

Wir haben es vorrangig mit Lobbyismus zu tun. Es besteht ein falsches Mindset bei allen Beteiligten. Wir haben viele Partikularinteressen im Gesundheitswesen, Krankenkassen, Ärzte, Krankenhäuser, Hilfsmittel usw.

Die arbeiten mehr gegeneinander statt miteinander. Jeder will ein schönes, großes Stück vom Kuchen abhaben. Und ist dabei allergisch, wenn irgendwelche Prozesse so umgemodelt werden, dass er eine kleinere Rolle spielt. Und so verharren alle im Status quo, denn da fühlen sie sich relativ wohl und sicher.

Es macht Angst, wenn man über Digitalisierung spricht, da Positionen zu hinterfragen sind. Und das ist dieses Mindset Thema als große Herausforderung, das wir erstmal lösen müssen, damit die Digitalisierung im Gesundheitswesen vorangehen kann.

An welchen Stellen hapert es besonders?

Im Grunde an allen Stellen. Und zwar deswegen, weil die sogenannte Patient Journey im Gesundheitswesen heute keine Rolle spielt. Der Versicherte irrt wie in einem Dschungel von einem Akteur zum anderen Akteur.  Es gibt dort keine Schnittstellen, Probleme, Versorgungsbrüche, lange Wartezeiten, keine Dokumentation, die dann von A nach B kommt.

Und somit hapert es aus meiner Sicht am Gesamtsystem und an den Verantwortlichen, die heute im Driverseat Platz genommen haben. Man muss das System vom Sozialgesetzbuch ausgehend neu konzipieren, denken und weiterentwickeln.

Von welchen internationalen Systemen sollte und könnte Deutschland dabei lernen?

Es ist immer schwierig, Gesundheitssysteme zu vergleichen, da es immer unterschiedliche kulturelle Anforderungen gibt. Verschiedene Länder, zum Beispiel das National Health System in England, kennen nicht die die Patientensouveränität, in der Versicherte den Arzt aussuchen können, die vermissen das auch nicht. Länder wie Dänemark oder Israel haben viele innovative Ansätze. Allerdings sind das kleinere Länder, die ich einfacher steuern kann.

Es ist nicht einfach, das Learning zu adaptieren. Nichtsdestotrotz war ich letzte Woche in Israel und habe gesehen, wie viele Innovationen dort zur Verfügung stehen, weil das Land ziemlich pragmatisch in vier Krankenkassen aufgeteilt ist. Diese haben entsprechend genug Freiheitsgrade, das System neu zu denken.

Was sehen Sie insbesondere als zeitgemäß an?

Also zeitgemäß sehe ich den ganzen Bereich, der des Workflows, den ich digitalisieren kann. Mit Blick auf die ganze Wertschöpfungskette.

Das fängt mit der Diagnostik zu Hause an, geht in die Therapiefindung online – dazu habe ich auch mal ein Startup gegründet – weiterhin über Therapieansätze, die auch digital punktuell zu Hause und Kombinationen ambulant und stationär laufen sowie die digitale Nachsorge.

Wenn wir die das Gesamtsystem anschauen, als Wertschöpfungskette, sehe ich eben viele Möglichkeiten, um digitale Prozesse auf dem Smartphone, dem Patienten nach Hause zu verlagern und damit eben wichtige Ressourcen zu sparen.

Wie sehen Sie die Chancen, die sich aus Datenstandards ergeben?

Wir brauchen zunächst einmal eine Unique Identifier Number oder eine E-ID, damit wir Datensätze zusammenfassen können, damit Arzt A und B das codieren können und das irgendwo in einem zentralen Datensatz dann zur Verfügung steht oder zumindest beide auf den Dezentralen zugreifen. Also nochmal, wir brauchen Datenstandards.

Dazu gehören eben die bekannten Technologien, die wir jetzt heute schon haben, die ICDS etc. zum Kodieren, auch FHIR und andere Standards dienen dazu die Interoperabilität zu verbessern.

Dazu gehören, eindeutige Nummern wie zum Beispiel Sozialversicherungsnummer in Deutschland, die einmalig vergeben wird und leider nicht genutzt wird, also eine E-ID.

Ich glaube, Herausforderungen gibt es genug. Qualität spielt heute keine Rolle. Wir haben Polypharmazie. Wir haben wissen, dass nicht in alle Bereiche durchsickert über die Schulungen, die heute sehr viel antiquarisch übers Smartphone laufen. Das würde auch schneller gehen, wenn da jeder sein Update bekommt.

Es mangelt mir nicht an Ideen, wo es Herausforderungen gibt. Ich setze den Fokus heute und morgen auf Lösungen. Selbst wenn es kleine Lösungen sind, um Schritt für Schritt das Gesundheitswesen zu verbessern.

Herr Professor Matusiewicz, ich danke Ihnen herzlich für unser Gespräch.


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Über Cyforwards:
Die Cyforwards GmbH bietet eine integrierte Personalberatung in den Themenschwerpunkten Executive Search und People & Organizational Development. Sie besetzt Führungs- und Fachpositionen überwiegend in der IT-Managementberatung. Der Fokus liegt auf den Branchen Public Sector & GovernmentTransportation & Mobility sowie Healthcare. Als Transformationsberater und -begleiter unterstützt Cyforwards Individuen und Organisationen, ihre Ziele zu erreichen und Potenziale zu entfalten. Benjamin Wittekind gründete das Unternehmen 2018 in München. 

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Bild: Pramudiya

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